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Säure Base Teil 2: Sollen wir uns basisch ernähren?

In Teil 1 der Säure-Base Trilogie habe ich gezeigt, dass die Puffersysteme des Körpers den pH-Wert des arteriellen Blutes recht effizient im Bereich von pH 7,4 stabil halten. Lokale Abweichungen von diesem Wert sind eher die Regel, als die Ausnahme. Längerfristige systemische Abweichungen kommen eigentlich nur bei Erkrankungen vor (z.B. Ketoazidoese bei Diabetikern) und müssen ärztlich behandelt werden.
Ein permanenter Säureüberschuss führt jedoch zu einer permanenten Anstrengung des Puffersystems, um den pH-Wert stabil zu halten. Dies kann zu Problemen wie einer Osteoporose führen, da der Körper die Säure-neutralisierenden Substanzen in einem solchen Fall aus seinem Knochen herauslöst. Nun ist die Frage, ob ein Säureüberschuss durch unsere Ernährung verursacht werden kann, und welche Konsequenzen dies haben könnte.
Misst man den pH-Wert eines Lebensmittels, so reflektiert dies nicht die Säure- oder Baselast, die das Lebensmittel auf den Köper ausübt. So sind z.B. Zitronen sauer, wegen der enthaltenen Zitronensäure. Nach der Verdauung trägt die Zitrone jedoch zur Baselast bei. Auch andere organische Säuren, wie Milch-, Apfel- und Essigsäure lassen den Körper nicht übersäuern. Sie werden vollständig zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Im Blut wird das Kohlendioxid zwar kurzfristig zur Säure, wird dann aber über die Lunge wieder als Kohlendioxid ausgeatmet. Schwefelhaltige Aminosäuren sind pH-neutral. Beim Abbau von schwefel- und phosphorhaltigen Verbindungen entstehen jedoch Säuren, die über die Niere ausgeschieden werden müssen. Schwefelhaltige Aminosäuren kommen besonders in tierischen Produkten wie Fleisch und Käse vor, aber auch in Hülsenfrüchten und Nüssen. Nach der Verdauung tragen sie zur Säurelast bei. Die basischen Eigenschaften pflanzlicher Lebensmittel kommen vom hohen Anteil gebundener Mineralien und Spurenelemente, die im Stoffwechsel zu puffernden Substanzen wie Natrium-, Kaliumbicarbonat, Calciumcarbonat und Magnesiumcitrat werden.
Schon im Jahr 1865 hat der Arzt Claude Bernard festgestellt, dass man den pH-Wert des Urins von Kaninchen durch die Fütterung beeinflussen kann (Patience, 2013). Im deutschsprachigen Raum wurde die Säure-Base-Theorie Anfang des 20. Jahrhunderts durch den schwedischen Biochemiker Ragnar Berg populär, der anhand von Veraschungsversuchen postulierte, dass es Nahrung gibt, die unseren Körper basisch oder sauer machen kann. Dieser rein chemische Ansatz gilt heute jedoch als überholt und zu simpel, um die Wirkung von Nahrung auf den pH-Wert der Körperflüssigkeiten zu erklären. Seit 1995 wird die saure oder basische Wirkung von Nahrung anhand der PRAL-Tabellen (engl. potential renal acid load, dt. mögliche Säurelast für die Niere) angegeben (Remer und Manz, 1995). Das ist ein rechnerisch bestimmter Wert, der angibt, in welchem Maße während des Verdauungsvorgangs aus einem Lebensmittel Säuren oder Basen entstehen können, die durch die Niere ausgeschieden werden (Bonjour, 2013). Da man jedoch normalerweise keine Einzelsubstanzen bei der Ernährung zu sich nimmt, sind die biochemischen Kalkulationen experimentell meist schlecht zu belegen. Daher kommt es, dass andere Wissenschaftler aufgrund eigener Studien oder Erfahrung eine Substanz, die nach der PRAL-Tabelle als unbedenklich eingestuft wird, nicht empfehlen (ein Beispiel hierfür ist Kaffee). Trotzdem wird die PRAL-Tabelle heute international am meisten verwendet.
Unter Betrachtung der PRAL-Tabelle kommen viele Anhänger der Säure-Base Theorie zu dem Schluss, dass wir heutzutage eine säurelastige Ernährung haben, die der Grund für viele chronische Erkrankungen sei. Es wird oft empfohlen, den Fleischkonsum einzuschränken, da Fleisch als säureproduzierend eingestuft wird, und betont auf pflanzliche Ernährung zurückzugreifen, da Gemüse und die meisten Obstsorten als basisch gelten. Diese Ernährungsweise soll der ursprünglichen, vorindustriellen Ernährung am nächsten kommen. Betrachtet man jedoch die vorindustriellen Ernährungsgewohnheiten, besonders die als ursprünglich eingeschätzte Paleo-Diät, kommt man zu interessanten Ergebnissen. Von vielen Wissenschaftlern wird die Paleo-Ernährung als fleischbetont beschrieben, da die Jäger und Sammlerkulturen von der Jagd und nicht vom Ackerbau gelebt haben. Nach dieser Annahme hätten auch schon frühere Kulturen eher eine säurebetonte Ernährung gehabt. Es gibt aber auch viele Argumente, dass der Ernährungsplan unserer Vorfahren deutlich pflanzenhaltiger war, als oft dargestellt wird. Besonders wichtig ist jedoch die Tatsache, dass der Homo sapiens vor 40.000 bis 10.000 Jahren sich nicht den „Luxus“ gönnte, nur das reine Muskelfleisch seiner Jagdbeute zu essen, sondern die unter hohem Energieaufwand gejagte Beute wurde optimal genutzt unter Verwertung aller essbaren Bestandteile. Daher wird damals der durchschnittliche Fettanteil eines Tieres nicht bei nur 3 % wie bei Muskelfleisch von Wildtieren, sondern eher bei 10-20 % gelegen haben (Ströhle et al., 2010). Und in Kombination mit pflanzlicher Nahrung wurden dann auch Mineralien aufgenommen, die unter dem Strich eine Säurebildung durch den Fleischkonsum verhindert haben. Im Gegensatz zu der Paleo-Ernährung trägt heute der Konsum von Getreideprodukten (z.B. Brot, Nudeln) bis zu 38% zur Säurelast bei (Sebastian et al., 2002).
Das Geheimnis einer gesunden Ernährung besteht nach diesen Ergebnissen nicht in einer Beschränkung der Nahrungsaufnahme auf basische Lebensmittel, oder im Verzicht von tierischen Produkten, sondern im Kombinieren von allen notwendigen Bestandteilen, wie Protein, Fett und ballaststoffhaltiger Pflanzennahrung. Gerade leicht verfügbare Kohlenhydrate aus z. B. Brot, Nudeln usw., die heute leider einen großen Teil unserer Ernährung ausmachen und nicht wirklich notwendig sind, stellen einen großen Teil der Säurelast dar. Ein Low-Carb- oder eine Paleo-Ernährung ist damit gleichzeitig auch eine basenbetonte Ernährung.

Teil 1: Gibt es eine Übersäuerung des Körpers?

Autor: Jens
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