Direkt zum Hauptbereich

Von der Steinzeit in das 21. Jahrhundert – Warum die Paleo-Ernährung so modern ist.


Unser Gastbeitrag:

In einem Einführungs-Artikel  hat Jens schon dargelegt, worum es bei der Steinzeit-Ernährung (Neudeutsch: Paleo-Ernährung) geht: Der Mensch hat sich in seiner über 2,6 Millionen Jahre langen Entwicklungsgeschichte optimal an eine Ernährung aus Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier, Gemüse, Obst, Nüssen und Kräutern angepasst.

Erst seit etwa 10000 Jahren hat der Mensch seine Ernährung radikal umgestellt und aufgrund von Ackerbau und Viehzucht vermehrt Getreide, Hülsenfrüchte und Milch in seinen Speiseplan aufgenommen.

Und weniger als 100 Jahre lang gibt es darüber hinaus die industrielle Lebensmittelproduktion, die uns raffinierte Pflanzenöle, Weissmehlprodukte, Chips, Fertiggerichte und Gentechnisch veränderte Soja- und Mais-Produkte beschert hat.

Gleichzeitig beobachten wir eine stetige Zunahme von sogenannten Zivilisations-Krankheiten: Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck sind die bekanntesten Vertreter, ganz zu schweigen von Allergien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, chronischen Entzündungen, Verdauungsbeschwerden, Müdigkeit, Anfälligkeit für Krankheiten und anderen „Zipperlein“, die oft einfach dem Alter oder einer stressigen Lebensführung zugeschrieben werden.

Lebte der Steinzeitmensch wirklich gesünder?

Intuitiv ahnten wir schon immer, dass die moderne Zivilisation ihren Preis hat und dass der Steinzeitmensch vielleicht gesünder gelebt hat als wir. Schliesslich hat er sich ja viel mehr sportlich betätigt als der heutige Stubenhocker und Büro-Hengst. Aber welche Rolle spielte dabei die Ernährung, und hat der Steinzeitmensch wirklich gesünder gelebt?

Dieser Frage ist Dr. Staffan Lindeberg im Rahmen der „Kitava-Studie“ nachgegangen: Er hat im Stamm der Kitava auf Papua Neu-Guinea ein Volk gefunden, das auch heute noch sehr nah am Lebensstil der Steinzeit-Menschen lebt.

Bei seinen Studien fand der Forscher Verblüffendes: Unter den 2300 Einwohnern des Kitava-Volkes und den 23000 Einwohnern der umliegenden Inseln fand er keine Anzeichen von Herz/Kreislauf-Erkrankungen, auch nicht unter den 6% der Einwohner, die zwischen 60 und 95 Jahre alt waren. Auf Nachfragen, ob Stammesmitglieder „plötzlich“ verstorben wären, kamen nur Geschichten von Menschen, die an Unfällen oder gelegentlich Mord verstorben waren. Neben Unfällen waren Infektionen, Geburts-Komplikationen oder Altersschwäche die häufigsten Todesursachen: Keine Spur von Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs oder Alzheimer.

Alte Menschen in der Kitava-Population blieben bis ins hohe Alter körperlich und geistig aktiv und genossen eine vergleichsweise hohe Lebensqualität, ohne dass Anzeichen für Gedächtnisschwäche oder Demenz erkennbar waren. Ebenso wurden keine Anzeichen von Übergewicht oder Blutdruck-Problemen gefunden.

Die Nahrung des Kitava-Volkes besteht zum größten Teil aus Wurzeln, Gemüse, Früchten, Fisch und Kokosnüssen, die zu einer (im Vergleich mit westlichen Ernährungs-Standards) überdurchschnittlichen Versorgung mit Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen führt. Auch wenn der Gesamt-Fett-Anteil eher gering war (ca. 20% der Kalorien), haben die Kitava-Ureinwohner einen Großteil ihrer Energie aus gesättigten Fettsäuren aufgrund des hohen Kokosnuss-Anteils gewonnen.

Ähnliche Studien wie z.B. von Prof. Loren Cordain  zeigen ähnliche Beobachtungen, wobei je nach ökologischen Gegebenheiten die meisten Naturvölker den größten Teil ihres Energiebedarfs aus tierischen Kalorien gewinnen, während Kohlehydrate nur eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Insgesamt lässt sich bei den allermeisten Jäger und Sammler-Ernährungs-Formen gegenüber einer typischen Zivilisations-Ernährung (z.B. den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung) ein höherer Anteil von tierischen Proteinen und tierischen Fette feststellen, wogegen Kohlenhydrate im Allgemeinen eher unterrepräsentiert sind und im Speziellen kein Getreide und keine Hülsenfrüchte konsumiert werden. Auch Milchprodukte waren in der Steinzeit unbekannt.

Zurück zur Steinzeit?

Bedeutet das nun, dass wir zurück zur Steinzeit müssen? Oder unsere Städte, Autos, Mobiltelefone, Pizza, Pasta, Kuchen und Facebook gegen ein Leben als Kitava-Brüder und -Schwestern in Papua Neu-Guinea eintauschen sollten?

Natürlich nicht. Aber es lohnt sich, nachzufragen, was die Steinzeit-Menschen und die heutigen Naturvölker anders machen, als wir. Durch gezielte Forschung können wir verstehen, welche Faktoren in unserer Ernährung und Lebensweise uns von Steinzeitmenschen und Naturvölkern unterscheiden und über welche Mechanismen sie unsere Gesundheit beeinträchtigen. Wenn wir annehmen, dass wir genetisch gesehen noch Steinzeit-Menschen sind, können wir verstehen, welche Zivilisations-Faktoren uns wie krank machen und diese gezielt eliminieren oder verbessern, und dadurch zu besseren modernen Menschen werden. Urmensch 2.0!

Und so ergab sich in den letzten 10-20 Jahren eine nie zuvor da gewesene interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Paläontologen, Medizinern, Biochemikern und anderen Naturwissenschaftlern, die erstmals ausgehend vom Urmenschen als „gesunde Basis“ systematisch erforscht haben, was genau den modernen Menschen krank macht und wie.

Einer der wegweisenden Artikel aus dieser Zusammenarbeit ist: „Cereal Grains: Humanity’s Double-Edged Sword“  vom gleichen Prof. Cordain, der zuvor die Ernährung verschiedener Naturvölker studiert hatte. Darin beschreibt er die Zusammenhänge und Mechanismen, über die Getreide und Getreideprodukte zu Nährstoffmangel-Erscheinungen, Autoimmun-Erkrankungen und psychologischen sowie neurologischen Störungen führen können.

Unabhängig davon fiel Dr. Michael Eades in seiner Praxis auf, dass die seit den 60ern propagierte Niedrig-Fett-Ernährung bei seinen Patienten Übergewicht, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Probleme hervorbrachte. Durch eigene Experimente stellte er fest, daß er durch einfache Kohlenhydrate-Reduktion und Erhöhung des Proteinanteils in der Ernährung seiner Patienten nicht nur Übergewicht erfolgreich behandeln konnte, sondern sich auch Blutdruck- und Cholesterin-Werte seiner Patienten normalisierten. Er fand überraschende Bestätigung in Büchern und Artikeln von Paläo-Pathologen: Wissenschaftler, die sich mit Krankheiten von Urmenschen beschäftigen. Diese beobachteten eine drastische Verschlechterung von Gesundheits-Anzeichen bei Überbleibseln der alten Ägypter (eine der größten Ackerbau und Viehzucht-Kulturen im Altertum) im Vergleich zu Überbleibseln von Steinzeit-Kulturen, die älter als 10000 Jahre waren.

Dies sind nur zwei Beispiele für viele neuere Erkenntnisse, die auf Basis von Evolutions-Forschung ein besseres Modell des Menschen bauen und zwar so, wie er wirklich funktioniert.

Ein moderner Lebensstil im Einklang mit unserem Stoffwechsel

Dabei werden auch manche “moderne” Erkenntnisse in Frage gestellt und neu überdacht. Hier ein paar Beispiele:

* Laut immer wieder durch die Medien zitierten Studien sollen rotes Fleisch und tierische Fette krank machen und sogar für Krebs verantwortlich sein. Das passt jedoch nicht zur Beobachtung, dass Naturvölker, wenn ihre Umgebung es zulässt, über 50% ihrer Kalorien aus Fleisch und tierischen (also überwiegend gesättigten) Fetten beziehen (siehe Cordain). Tatsächlich stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass solche Studien irreführend sind und rotes Fleisch kaum eine Rolle bei der Entstehung von Krankheiten spielt. Fett wird gerne als Ursache von Übergewicht betrachtet. Der Gedanke ist einleuchtend: Wer Fett isst, wird auch Fett. Vor allem gesättigte Fettsäuren sollen besonders schädlich sein, wogegen ungesättigte Fettsäuren von der Margarine-Industrie als besonders gesund hervorgehoben werden. Eine der Wurzeln für diese Auffassung liegt in der 7-Länder-Studie von Ancel Keys, dem Begründer der „Mittelmeer-Ernährung“ bzw. der „gesunden Mischkost“. Inzwischen gibt es berechtigte Zweifel an dieser Auffassung: Eine sehr lesenswerte und unterhaltsame Analyse dieser Studie kann man bei Denise Minger nachlesen.
* Auch Kokos-Produkte genossen in der Vergangenheit einen schlechten Ruf, bestehen sie doch überwiegend aus gesättigten Fettsäuren. Oben haben wir gesehen, dass sie einen wesentlichen Anteil an der Ernährung des Kitava-Volks ausmachen, das keine Zivilisations-Krankheiten kennt. Also kann die Theorie über die krank machenden gesättigten Fettsäuren nicht richtig sein und tatsächlich weiß man heute, dass Kokos-Öl und andere Kokos-Produkte sehr gesund sind.

Die heutige Zeit ist eine sehr spannende Zeit für alle Ernährungs-Wissenschaftler, Mediziner und vor allem Verbraucher: Dank des Internets hat jeder Zugriff auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, und alte Theorien werden regelmäßig neu überprüft und korrigiert. Und immer wieder liefert der Urmensch und seine Ernährungsgewohnheiten den Anstoß, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich zu fragen: Was können wir vom Urmenschen noch lernen, um unsere heutige Ernährung zu modernisieren?

Über den Autor:

Constantin Gonzalez ist Informatiker und geht daher den Dingen systematisch auf den Grund. Seit 2008 beschäftigt er sich aus reinem Eigennutz mit modernster Forschung zu Ernährung und evolutionärer Gesundheit: Heute programmiert er seine eigene Biochemie und hat damit 18kg Übergewicht verloren, fühlt sich 10 Jahre jünger und läuft häufig bis zu 10 Kilometer barfuß durch den Wald. In seinem Blog „Paleosophie“  stellt er regelmäßig interessante Informationen zur Paleo-Ernährung und zum Paleo-Lifestyle zusammen und hält Vorträge und Workshops zu diesen Themen.

Bildquelle: © Dmitry Pichugin - fotolia.com

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Sind Transfette eigentlich gefährlich?

Immer wieder wird man mit Aussagen zu Fetten konfrontiert, die sich anscheinend widersprechen. Einmal sind z.B. Transfette gefährlich, ein anderes Mal eben nicht. Wie kommt es zu solchen Widersprüchen? Fette sind aus Glyzerin und Fettsäuren aufgebaut. Es gibt nun einmal nicht eine einzige trans-Fettsäure, sondern viele verschiedene. Deshalb gibt es auch verschiedene trans-Fette. Diese unterscheiden sich in der Länge (= Anzahl der Kohlenstoffatome in der Kette), aber auch in der Art und Anzahl der Verbindungen der Atome in den Fettsäureketten. Dabei können zwei Kohlenstoffatome entweder mit einer Einfach- oder einer Doppelbindung miteinander verbunden sein. Kommen in einer Fettsäure Doppelbindungen vor, spricht man von einer ungesättigten Fettsäure, die mit nur Einfachbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen heißen gesättigte Fettsäuren. Wenn eine Fettsäure eine Doppelbindung aufweist, kann diese in einer cis- oder einer trans-Anordnung vorliegen: bei cis-Anordnung (cis = diesseiti

Long Covid und Post Vac Syndrom: Wie entstehen sie?

Long Covid und Post Vac Syndrom - Wie entstehen sie? Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich Milliarden Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert und es wurden Milliarden Menschen dagegen geimpft. Bei solch hohen Zahlen treten auch seltene Ereignisse mittlerweile gehäuft auf. Dazu gehören Long Covid und das Post Vac Syndrom. Bildquelle Bisher weiss man nicht, warum der Großteil der Infizierten, aber auch der Geimpften keine oder nur geringe Probleme hat. Es gibt jedoch Faktoren, die das Risiko für Long Covid, wie auch Post Vac Syndrom erhöhen. Dazu gehören das Geschlecht (Frauen sind häufiger betroffen), Alter, Übergewicht, Asthma u.a. ( Schieffer und Schieffer, 2022 ). Unter Long Covid versteht man Symptome, die auch nach mehr als 4 Wochen nach einer akuten Infektion oder Erkrankung nicht abgeklungen sind. Das RKI gibt an, dass Long Covid bei 7,5 bis 41 % der Patienten ohne Hospitalisierung auftritt. Das Post Vac Syndrom beschreibt ähnliche Symptome, die sich nach einer Impf

Methylenblau

Methylenblau - gut oder böse? Methylenblau ist eigentlich ein alter Wein in neuen Schläuchen. Seit Jahren wird es immer wieder als ein Geheimtipp zur "Selbstoptimierung" gehandelt. Aber ist es wirklich ein so ungefährlicher Stoff, dass sich Laien damit selbst behandeln können? Bildquelle Methylenblau wurde zum ersten Mal 1876 von dem deutschen Chemiker Heinrich Caro aus Teer hergestellt. In die Medizin wurde die Substanz durch Paul Ehrlich eingeführt. Er verwendete den Farbstoff, um Zellen für die Mikroskopie zu färben. Dabei fand er heraus, dass sich Methylenblau in Parasiten und von Parasiten befallenen Zellen anhäuft. Daraus wurde eine Behandlungsmethode für Malaria entwickelt. Das war der Beginn der modernen Pharmakologie. Seine Wirkung entfaltet Methylenblau durch seine Fähigkeit, als Redox-Mittel zu agieren. Nimmt Methylenblau 2 Elektronen auf, wird es zum farblosen Methylenweiß. Gibt Methylenweiß zwei Elektronen ab, wird es wieder zu Methylenblau. Methyle